Mendelsohns Architektur der Integration
Die Ausstellung „Erich Mendelsohn: Berlin – Jerusalem“ mit Fotografien von Carsten Krohn findet vom 24. März bis zum 21. April 2023 im Bauhaus Center Tel Aviv statt. Der Erich-Mendelsohn-Preis für Backstein-Architektur ist Sponsoring-Partner der Ausstellung. Zur Eröffnung sprach Architekt und Fotograf Krohn mit der Mendelsohn-Expertin Prof. Ita Heinze-Greenberg über die Erkenntnisse, die er während seiner zehnjährigen Beschäftigung mit den Bauten Mendelsohns gewonnen hat.
Krohn zum Hintergrund der Ausstellung:
„Ziel der Initiative ist es, Mendelsohns Werk als UNESCO-Weltkulturerbe zu nominieren. Das ist ein langer Prozess, der jetzt in mehreren Symposien vorbereitet wird. Das erste fand im vergangenen Jahr in Berlin statt, das zweite nun in Haifa, das nächste wird in Polen stattfinden. Weitere werden folgen. Diese dienen zur Erforschung des Werkes unter der Fragestellung: Wie kann man den Antrag auf eine Nominierung begründen? Bei einer Nominierung werden unterschiedliche Projekte eingereicht und dann entscheidet das jeweilige Land, welche Projekte offiziell nominiert werden. Dazu muss ein Gesamtkonzept mit zehn bis 20 Bauten, die vorgeschlagen werden sollen, ausgearbeitet werden. Diese Initiative unterstütze ich. Die Eröffnung der Ausstellung war quasi der letzte Punkt auf der Tagesordnung des Symposiums. Über zehn Teilnehmer des Symposiums waren dabei.“
Krohn über sein Interesse an Erich Mendelsohn:
„Ich habe mich mit allen möglichen Architekten mit Büro in Berlin beschäftigt, weil ich hier wohne und weil es so viele Bauten gibt. Da war ich ganz pragmatisch. Ich habe mich also zunächst mit anderen Architekten wie Peter Behrens oder Mies van der Rohe beschäftigt. Irgendwann habe ich angefangen, zu schauen, was es von Mendelsohn in Berlin und Umgebung gibt. Und daraus wuchs das Interesse, nach Israel zu fahren und dort die Bauten zu fotografieren. Insgesamt hat es zehn Jahre gedauert bis ich alle Bauten im Buch fotografiert hatte. Was wir von Mendelsohns Werk davor kannten, war ein Werk in schwarz-weiß. Wenn man dann die Bauten in Realität sieht, bemerkt man erst die Farbigkeit, die Materialität oder die Lichteffekte. Das kann man mit meinen Fotos vermitteln.“
Krohn über die Lehre seiner Fotografie-Studie:
„Die große Erkenntnis meiner Beschäftigung mit seinem Werk war: Erich Mendelsohns Bauten sind in Gefahr. So wie ich die Bauten fotografiert zeige, zeige ich das, was dem Originalzustand entspricht. Viele Bauten sind in einem ruinösem Zustand und gefährdet. Ich habe mich dabei auf die Beispiele in Deutschland konzentriert – die Hutfabrik etwa: Es gibt einen Teil, der saniert wurde, aber es gibt keine Nutzung, sie steht leer. Aber es ist nicht nur das Ruinöse: An dem Ort wird keine Fabrik mehr benötigt – wenn jetzt ein großes Geschäft rein möchte, muss das Gebäude an die neuen Bedürfnisse angepasst werden. Und so ging es vielen Bauten aus der Zeit: Irgendwann wurden sie umgebaut, renoviert. Das ist eine paradoxe Situation: So wurden sie vielleicht vor dem Abriss gerettet, aber viel Original-Bausubstanz geht verloren.“
Krohn über die Hintergründe, warum Mendelsohn in Vergessenheit geriet:
„Vielleicht ist Mendelsohn der Architekt, mit dem am unsensibelsten umgegangen wurde. 1960 wurde das Kaufhaus Schocken in Stuttgart abgerissen, das den Krieg überlebt hatte. Trotz vieler Proteste. Dann ist das Besondere an der Geschichte, dass Mendelsohn jüdisch war. 1932 wurde ein Gebäude für die jüdische Gemeinde in Brand gesetzt. Mendelsohn hat diese runden, organischen Formen gebaut, damit konnten die Kritiker nichts anfangen, die die strengen Funktionalisten des Bauhauses verehrten. Mendelsohn wurde in der Literatur deshalb auch nie als der allergrößte Architekt dargestellt, im Gegensatz zu Le Corbusier und Wright. In deren Fällen gibt es schon eine erfolgreiche Initiative, zumindest Teile des Werkes als Weltkulturerbe zu schützen."
Krohn über die Argumente, die für eine Nominierung von Mendelsohns Werken zum UNESCO-Weltkulturerbe sprechen:
„Meine Ausstellung, die im besten Fall auch noch in andere Länder wandert, gibt es, um die Initiative zu unterstützen. Für eine Nominierung zum Weltkulturerbe reicht es nicht, wenn man sagt: Das ist großartige Architektur, die historisch bedeutsam ist. Es braucht auch andere, gesellschaftliche Argumente. Und bei Mendelsohn ist das zum Beispiel seine Architektur der Integration: Er hat auf drei Kontinenten gebaut, immer wieder neu angefangen und regionale Einflüsse in sein Werk aufgenommen. Das steht ganz im Gegensatz zum Kolonialismus, also dem Export von Ideen aus Europa. Das gibt es bei kaum einen anderen Architekten so ausgeprägt.“
Das Symposium „Erich Mendelsohn – Architecture of Dialogue“ in Haifa wurde aufgezeichnet und ist online auf YouTube verfügbar.
Carsten Krohns Monografie „Erich Mendelsohn: Bauten und Projekte" ist in Zusammenarbeit mit Michele Stavagna entstanden und erschien 2021 im Birkhäuser Verlag.