More Than Bricks! Tradition und Zukunft der Architekturkeramik
Im Stammbaum der Keramik gehören Backstein und Porzellan zwei verschiedenen Unterklassen an. Porzellan wird aus Kaolin gebrannt, Backstein aus Tonerde. Mit der Sonderausstellung und der dazugehörigen Publikation „More Than Bricks! “ ehrt das Staatliche Museum für Porzellan den Verwandten des „Weißen Goldes“: die Architekturkeramik.
„Das Ziel ist es, dass die BesucherInnen nach der Ausstellung, die ihnen alltäglich begegnenden keramischen Elemente an und in Bauwerken wahrnehmen und sie als Teil ihrer Lebensumwelt erkennen und deren gestalterischen und technischen Wert schätzen.” Die Beschreibung des Kurators Thomas Miltschus in der Einleitung lässt sich leicht auf das Buch übertragen. Das Cover verrät es bereits: Hier wird gebrannter Ton in all seiner Farbenpracht und Vielfalt präsentiert. Der Sammelband führt den Leser durch die bedeutendsten Epochen der Architekturkeramik. Eine erste Blütephase stellt der Aufsatz von Dirk Schumann dar: In Nordeuropa hielten Terrakotta-Gestaltungselemente erst im 12. Jahrhundert Einzug, weshalb die Publikation im europäischen Mittelalter mit der Backsteingotik beginnt. Fotos von aufwendig verzierten sakralen Bauten in Deutschland, Italien und Polen aus dieser Zeit, aber auch weltliche Bauten wie das Holstentor in Lübeck sind eindrückliche Beispiele für Terrakottakunst in der Architektur.
Für die nächste Hochphase führt Dr. Rainald Franz den Leser ins Österreich des 19. Jahrhunderts. Keramikfliesen lösen Stein in der Fassadengestaltung ab, denn sie haben einen großen Vorteil: Sie erlauben eine unendliche Farbenvielfalt. Bauten dieser Zeit sind stark von orientalischen Vorbildern geprägt. Das glasierte Terracotta der Zacherlfabrik greift persische Ornamentik auf, das Amalienbad erinnert an antik-römische Thermenbauten. Auch in der von Hubertus Adam beschriebenen französischen Baukeramik um 1900 in kommt farbig glasierte Keramik zum Einsatz. Dr. Edith Margarete Kowalski setzt den Trend der Keramik-Verzierungen in den Kontext mit den Architekten: In Karl Friedrich Schinkel sieht sie den Vorreiter, der Backstein in der Fassade wieder auf den Markt gebracht hat und schließlich Architekten wie Fritz Höger, Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe zum Backsteinexpressionismus der 1920er-Jahre inspiriert hat. Von der Friedrichswerderschen Kirche über das Rote Rathaus bis zum Chilehaus – jetzt ist Backstein als Sichtmauerwerk nicht mehr wegzudenken.
Die erste gestalterische Aufgabe von gebranntem Ton sehen die Autoren schon 700 v. Chr. bei der Errichtung des Ischtar-Tors, das besonders für seine blauen Ziegel bekannt ist. Mit der Geschichte dessen Wiederaufbaus in Berlin bietet Nicole Seydewitz einen spannenden Einblick in die Geschichte der Töpferkunst: Die glasierten Ziegel mussten rekonstruiert werden und die Töpfer standen vor der Aufgabe, die Farben originalgetreu nachzubilden. Seydewitz spannt schließlich auch den Bogen vom Ischtar-Tor zu den charakteristischen bunten Berliner U-Bahnhöfen. Wilma Rambow setzt sich mit der Beziehung zwischen Kunst und Architektur auseinander und den Schwerpunkt auf die ehemalige DDR: Eine erhebliche Summe wurde für Kunst am Bau investiert. Die Wandbilder an den öffentlichen Bauten zeigten und zeigen idealisierte Darstellungen einer sozialistischen Gesellschaft. Einen Blick in die Gestaltung des öffentlichen Raumes über Ländergrenzen hinweg wirft schließlich Maria Gasparian: Sie sieht in öffentlichen Kunstwerken eine große Bedeutung für das „Gefühl von räumlicher Zugehörigkeit und Identität“. Ein Highlight des Buches ist der Aufsatz des katalanischen Keramikers Toni Cumella, dessen Werke das traditionelle Handwerk mit neuen Technologien verknüpfen.
Fazit
Das Schöne an der Publikation: Sie zeigt nicht nur Wertschätzung für das Kunsthandwerk der Architekten, sondern auch der Töpfer und Ziegler, die die Werke, die man heute noch bewundern kann, überhaupt ermöglicht haben. Nach der Lektüre bleibt nicht nur die Sehnsucht, die Architekturkeramik Europas selbst zu erkunden, sie macht auch neugierig auf die japanischen oder persischen Vorbilder, die unsere europäische Architekturkeramik inspiriert haben.
More Than Bricks! Tradition und Zukunft der Architekturkeramik
Porzellanikon – Staatliches Museum für Porzellan (2020)
Schriften und Kataloge des Porzellanikons Band 131
336 Seiten, zahlreich bebildert
Euro 39,90
ISBN: 978-3-940027-39-9