Lernräume aus starken Steinen
Ein öffentliches Gebäude – das verlangt nach einem besonderen Auftritt. Repräsentation, Vertrauen und Willkommen: Welcher Baustoff könnte das besser verkörpern als der Backstein, der zugleich würdevoll, zuverlässig und warm erscheint?
„We give shape to our buildings and they, in turn, shape us.“
Es ist wohl kein Zufall, dass etwa Rathäuser auffällig häufig in Backstein gebaut sind. Eine andere Kategorie, bei der Backstein seine Stärken voll ausspielen kann, sind Schulbauten. Ob als Grund-, weiterführende, Berufs- oder Hochschule – Schulen nehmen nach Verkehrsbauten den zweiten Platz im Baugeschehen ein. Wie wichtig der bauliche Rahmen dabei ist, zeigt das Churchill-Zitat „We give shape to our buildings and they, in turn, shape us.“ Nirgendwo außerhalb der eigenen vier Wände halten sich Menschen länger auf.
Prominentes Vorbild Schinkel
Eins der prominentesten Beispiele einer Backsteinschule ist die Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel, 1836 in Berlin vollendet. Und das, obwohl sie seit knapp 60 Jahren nicht mehr existiert; sie wurde Opfer des Zweiten Weltkriegs, ihr Wiederaufbau schließlich 1962 abgerissen. Was die Bauakademie bis heute auszeichnet, ist ihre Zeitlosigkeit. Rot leuchtend stand sie unübersehbar im Stadtraum, aufdringlich hingegen war sie nie. Schinkel hatte den kleinteiligen Backstein für eine ruhige, sorgfältige Komposition eingesetzt, die unbeeindruckt spätere Moden überdauerte. Und bis heute als Vorbild funktioniert, wie die Einreichungen zum Fritz-Höger-Preis für Backstein-Architektur 2020 zeigen, innerhalb wie außerhalb Europas.
Stockholm: Charme der Industriearchitektur
Beispiel Schweden. Das nordeuropäische Land gilt zurecht als Richtschnur im Schulbau und beweist das einmal mehr mit der Bobergsskolan in Stockholm vom rein weiblich besetzten, ortsansässigen Büro Max Arkitekter. Die Entscheidung für einen Ziegelbau lag auf der Hand: Die Schule für 900 Schüler und Schülerinnen ist in die ehemaligen Gaswerke eingezogen; das Areal wird vom Charme der Industriearchitektur um 1900 und zwei mächtigen Rundbauten in Backstein charakterisiert. Der Ergänzungsbau von 2019 nimmt das Material und die einfachen Kubaturen des Bestands auf. Im Gegensatz zum roten Backstein wählten die Planerinnen allerdings graue Ziegel und kennzeichnen ihren Bau damit eindeutig als Neuzugang. Die reiche Ornamentik der Altbauten setzt der Neubau fort, etwa durch das Spiel mit glatten und perforierten Flächen. Das erzeugt Abwechslung und Tiefe in der Fassade und sorgt ganz nebenbei für den nötigen Sonnenschutz. In den Bestandsbauten ließen die Architektinnen viele Wände unverkleidet und zollten so der robusten Struktur Respekt.
Köln: Grau trifft auf Rot
Ähnlich in der Annäherung an den Bestand entschieden sich die Berliner Architekten Numrich Albrecht Klumpp mit der Erweiterung des musikorientierten Humboldt-Gymnasiums in Köln: Sie wählten ebenfalls grauen Backstein, der nun im Gegensatz zum roten der denkmalgeschützten Bauten aus den 1950er und 1960er Jahren steht. Hier war die Hauptaufgabe, einen Kammermusiksaal mit 160 Plätzen zu erstellen. Der liegt hinter einem Filtermauerwerk, wie das die Architekten nennen, das sich durch großen Detailreichtum auszeichnet: Wieder wechseln sich glatte Flächen mit raffiniert gesetzten reliefartigen und durchbrochenen Wandabschnitten ab. Der Neubau bereichert das Ensemble ästhetisch, aber auch städtebaulich, denn zusammen mit den Altbauten bildet er nun eine Platzsituation.
Peking: Raster und Kaskaden
Ganz andere Dimensionen finden sich in Peking; hier entstand ein Kindergarten für 540 Kinder. Die dreiflügelige Anlage SanHe entstand 2017, ähnelt nach europäischen Maßstäben eher einer sehr großen Schule und ist durch ein gleichmäßiges Fensterraster und drei kaskadenartige Treppenläufe geprägt. Obra Architects (New York und Seoul) entschieden sich für glatt gemauerte Fassaden in grauem Backstein, der je nach Lichteinfall aber auch bläulich oder orange schimmert. Der Komplex ist Teil einer zwei Millionen Quadratmeter umfassenden Wohnanlage, was seine zunächst gewaltig erscheinende Größe wieder in Relation setzt.
Heemskerk: Expressives Muster
Zurück nach Europa: Im Gegensatz zur bewussten Nüchternheit von SanHe zeichnet sich das 2017 fertiggestellte Heliomare Rehabilitation Centre im niederländischen Heemskerk von Marlies Rohmer Architecture and Urbanism (Amsterdam) durch ein expressives Muster aus. Als Teil der Restrukturierung einer Wohnsiedlung aus den 1960er Jahren bietet es körperlich, geistig oder mehrfach behinderten Kindern ein reiches Therapieangebot und ist darüber hinaus eine öffentlich zugängliche Sportstätte mit Schwimmbad. Auch hier nahmen die Planer mit der einfachen Gebäudeform und der Entscheidung für Backstein Bezug zum Bestand. Seine eigenwillige Identität erhält der Bau durch das korbartige Muster. Es ist durch die gelblichen und dunkelbraunen Ziegel klar gezeichnet. Da das Gebäude starke Beanspruchungen aushalten muss, dominieren im unteren Teil der Fassade die dunklen Steine, während sich das Muster nach oben mit den helleren immer weiter auflöst. Gleichzeitig hilft es, den hallenartigen Komplex zu rhythmisieren.
Viele Ansprüche – eine Antwort
Der schlaglichtartige Rundblick von Peking bis Stockholm belegt: Mit Backstein geht alles zusammen. Der anspruchsvolle Nutzungsmix aus großen, kleinen und fließenden Räumen. Der Facettenreichtum des Materials, um jeder Einrichtung eine eigene Identität zu geben. Die Gratwanderung zwischen einerseits dem öffentlichen Auftritt, andererseits der Vermittlung, die richtigen Räume in hoher Aufenthaltsqualität zu bieten. Und Robustheit gepaart mit Langlebigkeit des Materials, unumgänglich bei einem derart stark genutzten Bautypus. Pädagogische Konzepte wandeln sich und damit die Architekturen. Ob wilhelminische Trutzburg oder – aktuell – das Lernhaus, immer wieder aufs Neue spielt der Backstein eine seiner Trumpfkarten aus: seine Vielfältigkeit und Anpassungsfähigkeit. Und untermauert, was Arno Lederer (LRO), sowohl Backstein- als auch Schulbauexperte, feststellt: „Schulhäuser sind nicht nur für die Schule gebaut. Sie sollten die Qualität haben, Heimaten zu werden und viele Jahre später noch positiv im Gedächtnis verankert zu sein.“