Glasarchitektur – Ein Irrweg der Moderne
Was ist dran am Glasbau? Welchen Energieverbrauch haben – und welche Nutzungsbedingungen herrschen in Glasbauten? Dipl.-Ing. Werner Eicke-Hennig hat aus der Informationsnot eine Tugend gemacht und rund 21 Glashäuser begangen, Erfahrungsberichte gesammelt sowie die wenigen existierenden Studien ausgewertet. Was dabei herauskam, stimmt nicht optimistisch für den Fassadentyp aus Glas.
Realität trifft Anspruch
Die heute „moderne“ Glasarchitektur trat vor 20 Jahren im Zweckbau mit hohem Anspruch an. Repräsentative Glasbauten werden seitdem von Architekten mit großen Namen errichtet. Der Glasbau ist der Mainstream bei den Zweckbauten geworden. Wollten Ganzglasgebäude „nur“ repräsentativ sein, dann könnte man allenfalls über den Geschmack streiten, der mit den teuren Repräsentativbauten zum Ausdruck kommt. Dieses neueste Projekt der „Moderne in der Architektur“ vertritt aber einen viel weitergehenden Anspruch: Die Glasfassade ermögliche das „ökologische Büro- und Hochhaus“, mache Klimaanlagen und Lüftungsanlagen überflüssig und biete eine hohe Nutzungsqualität. Glasfassaden seien energiesparende Klimafassaden und stünden für „die Moderne“ schlechthin. Bewiesen wurde das bis heute weder am gebauten Objekt, noch gibt es vorbereitende Konzeptstudien, mit denen man sich auseinandersetzen könnte.
Ungehörte Stimmen
„Wer im Glashaus sitzt, der schwitzt“, titelte ein Züricher Journalist über die Züricher Klinik für Zahnheilkunde. Deren 1998 erbaute Ganzglasfassade beschert den Nutzern ein unerträglich heißes Innenklima bis 53 °C im Sommer und Zugerscheinungen im Winter. Im Sommer wird es so heiß, dass Türknäufe nur noch mit einem Lappen angefasst werden können, im Scheibenzwischenraum der doppelschaligen Glasfassade herrschen Temperaturen um 80 °C. Die sollte man aber zu Lüftungszwecken gerade öffnen können, das war das „neue“ Lüftungskonzept dieses Fassadentyps. Auch die Reinigungskosten der Ganzglasfassade explodierten: Aus den projektierten 10.000 Franken pro Jahr sind 150.000 Franken geworden. Überhitzungen gibt es wieder und wieder in Glashäusern: 47 °C wurden als sommerliche Spitzentemperatur im Stuttgarter Haus des Architekten gemessen. 38 °C waren es im 3. Stock eines Frankfurter Bürohauses im Osthafen.
Leiden für die Architektur
Ein Mitarbeiter beschreibt dem Hessischen Rundfunk die Lage so: „Wir leiden hier für die Architektur.“ Die einschalige Glasfassade der Arkade Gelsenkirchen bewirkt, dass man im 2. Stock an sonnigen Sommertagen bereits morgens um 9:00 Uhr mit 26 °C Innenlufttemperatur in den Tag startet. Zusätzlich zur übererwärmten Innenluft bilden die mit 40–46 °C im Sommer wirklich heißen Innenoberflächen von Glas und Rahmen in Glashäusern nicht abstellbare Heizkörper. Selbst im technisch hoch gerüsteten RWE-Glastower in Essen ist der Zwischenraum der doppelschaligen Glasfassade im Sommer zur jeweils sonnenzugewandten Seite so heiß, dass die Fenster geschlossen bleiben müssen. 50 °C sind schon im Mai anzutreffen. Dank einer 1,2 MW Klimaanlage können die Temperaturen im Tower jedoch heruntergekühlt werden. Die gläserne Ellipse von Norman Foster in Duisburg schafft es im Sommer auf 30 °C Innenlufttemperatur. Im Winter werden dann immerhin 26 °C gegen den Kaltluftabfall an den geschosshohen Scheiben benötigt. Die Fachhochschule für Architektur in Dessau heißt bei ihren Studenten „das Aquarium“, weil im Winter das Tauwasser an den kalten einschaligen Glasfassaden und der Überkopfverglasung herabrinnt. Sorption und Glas – ein unlösbarer Widerspruch. Im Sommer werden dann in der gläsernen FH Temperaturen bis 42 °C im Innern gemessen. Für Nachrüstung von Klimageräten hat das Land kein Geld. Dies ist bei vielen öffentlichen Glasbauten der Fall, wie Landesrechnungshöfe berichten. „Wir müssen uns bewusst werden, dass wir Bauwerke schaffen sollten, die es wert sind, an die kommenden Generationen weitergegeben zu werden“, so Dipl.-Ing. Werner Eicke-Hennig. Man lebt dann mit den sommerlichen Problemen: Im Rundbau des Duisburger Technologieparks tragen die Angestellten auf der Südseite Sonnenbrillen während der Arbeit, der streuende Blendungseffekt der mikroperforierten Sonnenschutzlamellen zwingt sie zu diesem Akt des Lifestyles.
Blendung ist überall ein Problem
5.000 Innenrollos sollen in der Stuttgarter EnBW-Bürostadt den außen liegenden Sonnenschutz ergänzen. Im Europäischen Gerichtshof in Luxemburg übernehmen 20.000 m² innen auf der Ganzglasfassade aufgebrachte Reflexionsfolie den Blend- und Sonnenschutz, unterstützt durch 20.000 m² gold-schimmerndes Aluminiumgewebe zwischen den Glasflächen der Fensterpaneele. Ein funktionierendes, bezahlbares und wartungsarmes Sonnen- und Blendschutzkonzept ist nirgendwo erkennbar.
Zugluft steigert Energieverbrauch
Im Winter müssen die Innentemperaturen in vielen Glasgebäuden über 23 °C angehoben werden. Der Kaltluftabfall an den raumhohen und oberflächenkühlen Glasflächen bewirkt Zugluft. Dies steigert den Heizenergieverbrauch und bewirkt nicht unbedingt gesunde Raumluftqualität. Im Lufthansa Aviation Center (2009) wurden von Architekt Christoph Ingenhofen – wohl aus den Erfahrungen seiner bisherigen Glasfassaden – in den oberen Gebäudebereichen gleich Glasfassadenheizungen vorgesehen.
Schall und Hall
Der Rundbau der Leipziger Messe stellt alles auf den Kopf. Der Hall in der schallreflektierenden Glaskuppel ist unbeschreibbar, Musikvorführungen nicht möglich. Schon ab März ist die Halle so heiß, dass die Diskutanten des deutschen Ingenieurtages 1997 und des sächsischen Ingenieurtages 2009 sich vor einer unglaublich hohen Raumtemperatur durch Ablegen von Kleidungsstücken zu schützen versuchten. Zudem müssen die Augen ständig vor dem Sonneneinfall geschützt werden. Gläserne Außen- und Innenwände verfügen über keinerlei Sorptionseigenschaften für die Raumluftfeuchte. Nachträglich eingebaute Lüftungstechnik muss die Schwächen des Materials Glas kompensieren. Glas und Schall, ein eigenes Kapitel, besonders dann, wenn wegen der Betonkernaktivierung auch die Decken glatt ausgeführt werden. In der neuen Akademie der Künste wurden zudem die Exponate feucht und geschädigt, in der Züricher Zahnklinik wellen sich die Druckerpapiere.
Und die Baukosten?
Der bayrische Rechnungshof stellt 2007 an staatlichen Bauten fest: Die Baukosten für die Glasfassaden lagen bei 1.700 EUR pro m², während massive Wände nur bei 200 bis 300 EUR pro m² liegen. Weiterhin wurde der Nutzflächenverlust bei zweischaligen Glasfassaden und die hohen Kosten von Nachrüstungen zur Problemabwehr wie Sichtschutz, Blendschutz, Klimatisierung in besonders überhitzten Gebäudebereichen (Investitions- und Betriebskosten) bemängelt. Der Rechnungshof Schleswig-Holstein kommt bei der Betrachtung von Landesgebäuden mit hohem Glasanteil zum gleichen Ergebnis. Er hebt zusätzlich hervor, dass viele der komplexen haustechnischen Anlagen nicht richtig funktionierten, und das schon seit Jahren.
Die Lehre aus dieser Praxis
Die Schlaglichter aus den Gebäuden mit gläsernen Fassaden zeigen systematische Mängel: Glasfassaden ziehen viele Anforderungen nach sich und zwingen zu technischen Sonderaufwänden. Transparenz wirkt auf die Nutzer psychologisch störend, Lichtdurchlässigkeit führt zu sommerlicher Überhitzung und tagsüber ständig wechselnden Temperaturen im Innern, Blendung quält die Nutzer zu bestimmten Tages- und Jahreszeiten. Die Schallreflexion an harten Flächen stört die Nutzung; die Luftfeuchte muss maschinell weggelüftet werden. Wenn es eine fehlende „Atmung der Wände“ gibt: Hier haben wir den Fassadentyp, der dieses Problem systematisch erzeugt. Die kalten, inneren Glasoberflächentemperaturen im Winter führen zu Zugluft und Auskühlung der Nutzer, wogegen wieder Konvektoren in Fensternähe anheizen müssen. Die Fassadenbaukosten sind hoch, was oftmals bei gegebenem Budget an anderer Stelle zu Qualitätsminderungen am Gebäude zwingt. Auch die Instandhaltungskosten sind hoch, Glas muss häufig gereinigt werden. Alles schon mal da gewesen: Julius Posener schrieb 1992 zur Glasarchitektur des Bauhaus der zwanziger Jahre: „Wie wenig praktisch der Glasbau war – und geblieben ist – wissen wir alle nur zu gut, im Sommer kann man in diesen Werkstätten nicht arbeiten, weil es zu heiß da drin ist und im Winter nicht, weil man friert.“ Le Corbusier erlitt seinen ersten Regress 1936 mit dem voll verglasten „Haus der Heilsarmee“ in Paris. Sein Konzept „... ein einziges Baumodell für alle Länder alle Witterungen“ wurde vom Pariser Sommerklima eingeholt. Den nachträglichen Sonnenschutz musste er auf seine Kosten nachrüsten.
Thermisch stabile oder thermisch nervöse Fassaden?
Thermisch stabil ist ein Bauteil oder ein Gebäude, wenn die im Tagesverlauf wechselnden äußeren Wärmelasten nicht sofort auf die Innentemperaturen durchschlagen. Massive Mauerwerkswände haben ein „thermisches Gedächtnis“ von 3-4 Tagen. In der Zeit reagiert die Innenlufttemperatur noch kaum auf eine äußere Temperaturveränderung oder eine Veränderung der Solarstrahlung. Zusammen mit einer der Belichtungsaufgabe angepassten Fenstergröße und mit deren Verschattungsmöglichkeit, weisen massive Gebäude auch im Hochsommer stets Innenlufttemperaturen auf, die unter der Außenlufttemperatur liegen. Mit der Glasarchitektur ist demgegenüber ein menschheitsgeschichtlich neues Problem entstanden: Glasbauten weisen im Sommer tagsüber häufig Innentemperaturen auf, die über der Außentemperatur liegen. Das ist die eigentliche Ursache für die „Unerträglichkeit“ des sommerlichen Raumklimas. Besondere Probleme verursachen die raschen Wechsel in der Intensität der Solareinstrahlung, das Innenklima im Gebäude wird „thermisch nervös“. Solche schnellen Lastwechsel kann die Kühltechnik nicht schnell genug nachregeln, zumal in Glasgebäuden auch meist keine dämpfenden Speichermassen existieren. Die nach Osten und Westen orientierten Glasflächen werden im flachen Einstrahlwinkel besonnt; der worst-case für Klimatechniker. Eingebaute Klimatechnik garantiert auch noch nicht, dass zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort des Gebäudes die erforderliche Kühlleistung zur Verfügung steht. Gerade die trägen Betonkerntemperierungen und Kühldecken sind hier bei rasch wechselnden, hohen solaren Wärmelasten überfordert. Aus diesem Grund verfügen die größeren und teureren Glasbauten häufig über 2–3 Kühlsysteme und Lüftungsanlagen. Man kämpft mit trägen und flinken Kühlsystemen gegen die Überhitzung. Vollklimatisierung, die in den Zeitschriftenbeschreibungen der Gebäude nicht erwähnt wird.
Glasarchitektur: Comeback der Gebäude-Klimatisierung
Glasbauten müssen wegen der hohen solaren Wärmelasten klimatisiert werden. Klimatechnik war, vor der Mode der Glasbauten in Deutschland, wegen ihrer hohen Bau- und Betriebskosten seit den achtziger Jahren „tot“. Sie zog erst durch die Großbauten aus Glas wieder in die Bürobauten ein. Gewiss arbeitet eine Absorptionskältemaschine stromsparsamer als ein Kompressionskältegerät, wobei auch letztere Alttechnik noch in Glashäuser eingebaut wird. Der richtige Weg ist aber: Klimatisierung vermeiden. Solch intelligente Fassaden, die den Klimaanforderungen am Gebäudestandort gerecht werden, sind die als altmodisch gescholtenen „Lochfassaden“. Den nach allen Himmelsrichtungen gleich aufgebauten Glasfassaden sind sie weit überlegen. Fassaden mit Vormauerziegeln bieten hier zusätzlich einen willkommenen Tagesspeicher für die einfallende Sonnenwärme, die erst gar nicht ins Haus gelangt. Beim Commerzbank-Hochhaus in Frankfurt am Main fallen 13 Prozent des Endenergiejahresverbrauchs auf die Beheizung, 42 Prozent auf den Stromverbrauch (Beleuchtung, Antriebe, EDV) und 45 Prozent auf die Kälteversorgung des Gebäudes.
Es geht auch anders
Repräsentative Architektur ist nicht an Ganzglasfassaden geknüpft. Das zeigen allein die Projekte, die für den Fritz-Höger-Preis 2008 nominiert und prämiert wurden. Glasfassaden sind letztlich nur Zeitgeist. Mit ihnen müssen wir Probleme lösen, die wir ohne sie nicht hätten.
Langfristig rechnen
Während die Baukosten einer doppelschaligen Glasfassade zwischen 1.000 und 1.700 Euro pro m² erreichen können, liegt die bereits erwähnte „Fassade mit Vormauerziegel“ bei nur 200 bis 300 Euro pro m². Eine Backsteinfassade ist zudem langfristig wartungsfrei und dadurch auch äußerst nachhaltig.
Backstein gleicht Temperaturen aus
Während eine sommerliche Überhitzung bei einer Glasfassade, wenn überhaupt, nur durch Klima- und Lüftungsanlagen geregelt werden kann, tritt sie bei einem massiv gebauten Gebäude erst gar nicht auf. Allein durch die Qualität des Baustoffs Ziegel ist, bei sinnvollen Fenstergrößen und äußerem Sonnenschutz, ein ausgeglichenes Innenklima in der warmen Jahreszeit zu erwarten. Da Glas keinen Wasserdampf absorbieren kann, ist eine hohe Raumluftfeuchtigkeit nur durch Lüftungsanlagen zu korrigieren. Ziegel hingegen fungieren als natürlicher Sorptionsspeicher und reduzieren Feuchtespitzen im Haus. Doch nicht nur die Temperaturen hinterlassen im Sommer ihre Spuren. Ebenso problematisch: die Blendungseffekte durch Sonne. Sie erfordern bei der Glasfassade zusätzliche Aufwendungen für Sonnen- und Blendschutzkonzepte. Diese sind bei Ziegelbauten lediglich für größere Glasfronten nötig.
Wohlige Behaglichkeit
An den Glasoberflächen kommt es häufig zum sogenannten „Kaltluftabfall“. Die dadurch entstehenden Luftströmungen führen zu Zugerscheinungen. Diese sind nur durch Konvektorheizungen an den Gläsern zu kompensieren. Für eine hohe und wohlige Behaglichkeit weisen gedämmte Fassaden mit Vormauerziegeln selbst im Winter eine Innentemperatur von 19 °C auf.
Schallschutz inklusive
Glas dämpft weder Schall noch Hall. Die Ziegelstruktur wirkt schalldämpfend und -schluckend. Grund ist der mehrschichtige Aufbau: Er wirkt wie ein Masse-Feder-Masse-Schwingungssystem. Die unterschiedlich dicken und schweren Schalen absorbieren die Frequenzen und verhindern Resonanzen. Glasbauten sind scheinbar mehr repräsentativ als praktisch. Gebäude mit Ziegelfassaden sind dagegen ganzheitliche, nachhaltige Lösungen. Man braucht nur den alten Erkenntnissen der Architektur zu folgen, wie dem Entwurfsprinzip der „Bescheidenheit“.