Gebäudetyp E: experimenteller und einfacher bauen

Baunormen sind wie Steuergesetze – sie neigen zu unkontrolliertem Wachstum. Um jede Lücke zu schließen, folgen auf eine Norm zehn weitere. Planen und Bauen geschieht heute in einem Dickicht von Richtlinien, Normen und privatrechtlichen Anforderungen. Noch komplizierter wird die Situation in der Branche durch steigende Bau- und Bodenpreise, aber auch durch Material- und Fachkräftemangel. Um diesem Trend entgegenzuwirken, schlagen Architektenkammern einen neuen innovativen Gebäudetyp E vor. Das Ziel: Bauen soll wieder einfacher, schneller, günstiger und architektonisch abwechslungsreicher gestaltet werden können.

Kloosterbuuren | Hans van der Heijden | Einreichung im Rahmen des Fritz-Höger-Preises 2020 für Backstein-Architektur

Gebt mir ein E!

Das „E“ steht für einfach und experimentell. Die neue Gebäudeklasse soll Architektinnen und Architekten ermöglichen, in bestimmten Fällen bewusst und in Absprache mit den Bauherren von den etwa 3.700 am Bau geltenden Normen abzuweichen. Das Ziel: Bauen soll kostengünstiger und flexibler werden, ohne dabei an Qualität einzubüßen.

Laut Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, geht es nicht nur um eine kleine Anpassung von Normen, sondern um Kreativität: „Unser Vorschlag ist eine radikale Entschlackungskur. Also nicht eine Norm hier rauszunehmen und eine dort, sondern einen echten Befreiungsschlag zu wagen. Ein Gebäudetyp E gibt dem Innovativen wirklich Raum. Es geht darum, im Einvernehmen mit den Bauherren Innovation zu ermöglichen und neue Ideen zu entwickeln, ohne dass x Normen geändert werden müssen.“

Haus Erler | bureau SLA | Einreichung im Rahmen des Fritz-Höger-Preises 2020 für Backstein-Architektur

Baustoff Backstein – prädestiniert für einfaches und experimentelles Bauen.

Mit der „E-Wende“ können Gebäude wieder experimenteller, ökologischer, schöner und damit auch nachhaltiger werden. Zur Nachhaltigkeit gehört neben den technischen Vereinbarungen zwischen Bauherren und Architektinnen und Architekten auch eine gute Gestaltung und Abstimmung auf die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner. Die Lösung – das zeigen Pilotprojekte wie das von Florian Nagler immer wieder – liegt nicht in der Entwicklung von weiteren technischen Materialien, nicht im „Höher Schneller Weiter“.

Der Backstein bringt auf besondere Weise die Anforderungen an einfaches und nachhaltiges Bauen miteinander in Einklang. Backstein-Architektur steht für eine einfache, massive und langlebige Bauweise, die ästhetisch nahezu unbegrenzte Individualität und Gestaltungsfreiheit ermöglicht. Die zweischalige Wand bietet eine hohe Speichermasse und damit einen hohen Wärmeschutz. Zusammen mit der Luftschicht zwischen Vormauer und Hintermauerwerk und dem dort eingebrachten Dämmmaterial lässt sich der Energieverbrauch mit einfachen Mitteln begrenzen. Das lohnt sich nicht nur für die Bauherren, sondern kommt über die Schonung natürlicher Ressourcen auch der Umwelt zugute. Zudem ist Backstein als nicht brennbarer Baustoff in der höchsten Brandschutzkategorie eingeordnet und zusätzlich wartungsarm. Auch die hervorragenden schalltechnischen Kennwerte des zweischaligen Mauerwerks vereinfachen die Planung und langfristige Nutzung der Immobilie.

Sedimentloft Marienwerder | Tillmann Wagner Architekten BDA | Einreichung im Rahmen des Fritz-Höger-Preises 2020 für Backstein-Architektur

Gemeinsam mit dem bayerischen Justizministerium wird darüber hinaus an einem Vorschlag gearbeitet, Vorhaben des Gebäudetyps E auch zivilrechtlich von bauordnungsrechtlich nicht geforderten Normen zu entlasten, um individuelle Vereinbarungen zwischen Bauherren und Architektinnen und Architekten zu ermöglichen.

Jetzt sind die Regierungen im Bund und in den Ländern am Zug, dieses gemeinsame Ziel mit der Änderung des BGB auch umzusetzen.

 

Hier finden Sie das komplette Interview mit Andrea Gebhard:

Zu DAB Online