Gebäudetyp E: experimenteller und einfacher bauen
Baunormen sind wie Steuergesetze – sie neigen zu unkontrolliertem Wachstum. Um jede Lücke zu schließen, folgen auf eine Norm zehn weitere. Planen und Bauen geschieht heute in einem Dickicht von Richtlinien, Normen und privatrechtlichen Anforderungen. Noch komplizierter wird die Situation in der Branche durch steigende Bau- und Bodenpreise, aber auch durch Material- und Fachkräftemangel. Um diesem Trend entgegenzuwirken, schlagen Architektenkammern einen neuen innovativen Gebäudetyp E vor. Das Ziel: Bauen soll wieder einfacher, schneller, günstiger und architektonisch abwechslungsreicher gestaltet werden können.
Gebt mir ein E!
Das „E“ steht für einfach und experimentell. Die neue Gebäudeklasse soll Architektinnen und Architekten ermöglichen, in bestimmten Fällen bewusst und in Absprache mit den Bauherren von den etwa 3.700 am Bau geltenden Normen abzuweichen. Das Ziel: Bauen soll kostengünstiger und flexibler werden, ohne dabei an Qualität einzubüßen.
Laut Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, geht es nicht nur um eine kleine Anpassung von Normen, sondern um Kreativität: „Unser Vorschlag ist eine radikale Entschlackungskur. Also nicht eine Norm hier rauszunehmen und eine dort, sondern einen echten Befreiungsschlag zu wagen. Ein Gebäudetyp E gibt dem Innovativen wirklich Raum. Es geht darum, im Einvernehmen mit den Bauherren Innovation zu ermöglichen und neue Ideen zu entwickeln, ohne dass x Normen geändert werden müssen.“
Mehr Luft zum Atmen für kreative Architekten
Die Idee einer neuen Gebäudeklasse folgt einer Zielrichtung, wie sie auch Florian Nagler mit seinem viel besprochenen Münchener Projekt „Einfach Bauen“ eingeschlagen hat. Auch hier ging es darum, das Bauen wieder stärker auf die Kernanforderungen zu reduzieren. Die drei Forschungshäuser in Bad Aibling (TUM München, Florian Nagler) können als eine Art Pilotprojekt des Prinzips „Innovation durch Reduktion“ gelesen werden.
Mit dem Gebäudetyp E erhalten Bauherren und ihre Planer deutlich mehr Freiheiten. Am Beginn eines „E“-Projekts stehen gemeinsame Festlegungen zwischen Planern und Bauherren zu den Zielen und Qualitäten, die frei vereinbart werden können, sich aber an gängigen Standards orientieren. Grundsätzlich gelten die Schutzziele der Bauordnungen zum Thema Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz.
Die technische Umsetzung, Ausstattungsstandards und Komfortansprüche lassen sich reduzieren, die räumliche und gestalterische Qualität von Gebäuden könnte hingegen der Gewinner sein. Architekten und Ingenieure können kreativer ihre Kompetenz einbringen, um sinnvolle und nachhaltige Gebäude zu bezahlbaren Kosten zu bauen.
Baustoff Backstein – prädestiniert für einfaches und experimentelles Bauen.
Mit der „E-Wende“ können Gebäude wieder experimenteller, ökologischer, schöner und damit auch nachhaltiger werden. Zur Nachhaltigkeit gehört neben den technischen Vereinbarungen zwischen Bauherren und Architektinnen und Architekten auch eine gute Gestaltung und Abstimmung auf die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner. Die Lösung – das zeigen Pilotprojekte wie das von Florian Nagler immer wieder – liegt nicht in der Entwicklung von weiteren technischen Materialien, nicht im „Höher Schneller Weiter“.
Der Backstein bringt auf besondere Weise die Anforderungen an einfaches und nachhaltiges Bauen miteinander in Einklang. Backstein-Architektur steht für eine einfache, massive und langlebige Bauweise, die ästhetisch nahezu unbegrenzte Individualität und Gestaltungsfreiheit ermöglicht. Die zweischalige Wand bietet eine hohe Speichermasse und damit einen hohen Wärmeschutz. Zusammen mit der Luftschicht zwischen Vormauer und Hintermauerwerk und dem dort eingebrachten Dämmmaterial lässt sich der Energieverbrauch mit einfachen Mitteln begrenzen. Das lohnt sich nicht nur für die Bauherren, sondern kommt über die Schonung natürlicher Ressourcen auch der Umwelt zugute. Zudem ist Backstein als nicht brennbarer Baustoff in der höchsten Brandschutzkategorie eingeordnet und zusätzlich wartungsarm. Auch die hervorragenden schalltechnischen Kennwerte des zweischaligen Mauerwerks vereinfachen die Planung und langfristige Nutzung der Immobilie.
Einfach und effizient kann ein Gebäude nur sein, wenn diese Kriterien sich auch über den gesamten Lebenszyklus bewähren. Die Langlebigkeit des Baustoffs Backstein ist nicht nur eine Frage der Klimabilanz. Auch die ästhetische Langlebigkeit von Gebäuden gerät immer mehr in den Blick. Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ein Gebäude sich 100 Jahre hält, besteht darin, dass es auch in 100 Jahren noch gefällt. Nachhaltigkeit ist immer ein Langstreckenlauf über Generationen. Unzählige Backsteinbauten auf der ganzen Welt sind der Beweis dafür.
Bayern übernimmt Vorreiterrolle
Der Ausschuss für Wohnen, Bau und Verkehr im Bayerischen Landtag hat Ende Januar die Einführung des von der Bayerischen Architektenkammer initiierten “Gebäudetyps E” auf den Weg gebracht. Die Initiative hat das Ziel, einen verbindlichen Anspruch auf Abweichungen in die Bauordnung aufzunehmen.
Gemeinsam mit dem bayerischen Justizministerium wird darüber hinaus an einem Vorschlag gearbeitet, Vorhaben des Gebäudetyps E auch zivilrechtlich von bauordnungsrechtlich nicht geforderten Normen zu entlasten, um individuelle Vereinbarungen zwischen Bauherren und Architektinnen und Architekten zu ermöglichen.
Jetzt sind die Regierungen im Bund und in den Ländern am Zug, dieses gemeinsame Ziel mit der Änderung des BGB auch umzusetzen.
Hier finden Sie das komplette Interview mit Andrea Gebhard: