Erich Mendelsohn – Bauten und Projekte
Er gilt als einer der weltweit innovativsten Architekten seiner Zeit. Seine Werke sind geprägt von einer großen Offenheit für Technologien und Materialien, von einer ausdrucksstarken Formensprache und fortschrittlichen Ideen zum Städtebau. Die Rede ist von Erich Mendelsohn (1887-1953), dem großen Visionär der Zwischenkriegszeit unter den deutschen Architekten des 20. Jahrhunderts. Wie imposant die Bandbreite seines Schaffens tatsächlich ist, das belegt der Bildband „Erich Mendelsohn – Bauten und Projekte“, herausgegeben vom Berliner Architekten Carsten Krohn in Zusammenarbeit mit dem Architekturhistoriker Michele Stavagna.
Realisiertes und Unvollendetes
Der berühmte Einsteinturm in Potsdam, das Kaufhaus Schocken in Stuttgart, das trotz internationaler Protest 1960 abgerissen wurde, und natürlich die ikonische Hutfabrik in Luckenwalde mit ihrer von großer Gestaltungsfreude zeugenden Backsteinfassade: Schlüsselwerke wie diese nehmen in Wort und Bild gebührend Raum ein in der 240-seitigen Dokumentation. Doch das neu erstellte Werkverzeichnis listet neben den 70 bekannten realisierten Projekten auch Arbeiten auf, die nie vollendet wurden und nur auf dem Papier existieren. Auf diese Art vollständig dokumentiert, zeigt das Œuvre in seiner Gesamtheit bildgewaltig auf, wie sehr Erich Mendelsohn es verdient, in einem Atemzug mit anderen Zeitgenossen wie Walter Gropius oder Mies van der Rohe genannt zu werden, mit denen er in der Künstlervereinigung „Ring“ einst engen Austausch pflegte.
Intuitive Dynamik
Schon die Skizzen Mendelsohns verraten viel über seinen Anspruch an Architektur. Er entwickelte seine Bauten gern bei klassischer Musik, wie Carsten Krohn in seinem Vorwort erklärt. Begleitet von den strukturellen Klängen Bachs oder Beethovens erhielten seine Visionen in schnell skizzierten Kohlestrich-Zeichnungen jene intuitive Dynamik, für die er noch heute so bekannt ist. Dabei strebte er immer nach Harmonie und Balance: ob er bei seinen Werken Altbewährtes mit Innovativem kombinierte oder später bei der Vermittlung zwischen westlicher und östlicher Kultur. Ganz nebenbei – auch das zeigt die Monografie – hatte Erich Mendelsohn schon vor einem Jahrhundert nachhaltige Bauweisen im Blick, die beim klimagerechten Gebäude begannen und den Bogen spannten bis hin zum sozialverträglichen städtebaulichen Wohn- und Arbeitsumfeld.
Backstein als Blickfang
Zwar war Erich Mendelsohn nicht auf ein bestimmtes Baumaterial festgelegt – aber gerade bei der für Mendelsohn typischen, dynamischen Großstadt-Architektur ist es oft der Backstein, der zum Blickfang wird. Er verwendete das Material als prägnantes Gestaltungselement, wie beispielsweise beim in Backstein gekleideten Woga-Komplex am Kurfürstendamm. Erneut bewies sich Mendelsohn hier als innovativer Wegbereiter, der auf die Fragen seiner Zeit überraschend zukunftsweisende Antworten fand und nachfolgenden Baumeistern damit bislang verschlossene Türen öffnete. Der Dreiklang von Texten, Bildern sowie Grundrissen und Ansichten in Carsten Krohns Buch verdeutlicht eindrucksvoll, wie flexibel und einfallsreich Mendelsohn immer wieder nach innovativer Architektur strebte.
Pflichtlektüre für Architekturfans
Mitunter weckt die lückenlose Dokumentation der zerstörten, aber auch der nie ausgeführten Projekte den Wunsch, die Zeit umkehren und die Gebäude (wieder) ins Straßenbild setzen zu können. Es ist der große Verdienst des Buches, dass das Œuvre eines echten Jahrhundert-Architekten hier endlich die Würdigung erhält, die es verdient. Für alle Architekturbegeisterten Pflichtlektüre!
Infos:
Erich Mendelsohn: „Bauten und Projekte“
Hrsg. von Carsten Krohn und Michele Stavagna. Mit einem Vorwort von Kenneth Frampton. Birkhäuser Verlag 2021. 240 S., 69,95 Euro. ISBN: 978-3-0356-2071-9