Die Renaissance des Ornaments
Zu verspielt, kitschig und altbacken. Das Ornament musste lange Zeit einiges aushalten. Heute kehrt es zurück, steht authentisch und unaufdringlich für die architektonische Vielfalt und setzt selbstbewusste Statements – besonders, wenn es mit Backstein realisiert ist.
Einfach nur „Form follows Function“ war gestern. Architektur spielt heutzutage wieder vermehrt mit den Möglichkeiten der Ornamentik, was ornamentale Elemente in den verschiedensten Materialien, Formen und Farben auf zeitgenössischen Gebäuden weltweit bestätigen.
Reduktion vs. Verzierung
Lange war das schlichte, pragmatische Bauen in der modernen Architektursprache gesetzt, das Ornament bei vielen Architekten unbeliebt. Vehementer Kritiker des Ornaments in der Architektur war auch der Wiener Architekt Adolf Loos (1870-1933). Verspielte Verzierungen hatten für ihn nur wenig am Bauwerk zu suchen, denn sie seien Ausdruck einer veralteten, unzivilisierten Zeit – und viele Architekten der Moderne folgten seinen Ansichten.
Zwar bleibt der Trend zu klaren Formen ganz im Zeichen des Bauhausstils auch weiterhin bestehen, gleichzeitig finden sich in den letzten Jahren aber auch immer mehr auffällige Fassaden-Ornamente: Elemente, die aus der Fassade herausragen, gliedern geschlossene Gebäudehüllen und gestalten aufregende, dreidimensionale Fassadenstrukturen. Beton, Holz, Glas und Backstein werden miteinander vermischt, um Kontraste durch die Materialkombination zu erzeugen. Und nicht zuletzt definiert das Spiel mit den geometrischen Formen die Erwartungshaltung an die Fassadengestaltung immer wieder neu. Besonders spannend zu beobachten ist, dass die Tendenz zum Reduzierten keineswegs konträr zum schmuckvollen Ornament steht. Ganz im Gegenteil entfaltet die bewusst eingesetzte Verzierung ihre Wirkung oftmals erst in Kombination mit einer reduzierten Fassade.
Möglichkeiten, die nur Backstein eröffnet
Was außerdem auffällt: Kein anderer Baustoff erlaubt es, so einfach und vielfältig mit Ornamenten zu gestalten wie Backstein. Beispielsweise verleihen das Auslassen einzelner Steine, das Durchbrechen der regelmäßigen Mauerstruktur oder versetzt angeordnete Steine modernen Backsteinfassaden einen individuellen Reiz. Computerbasiert berechnet, präzise und vielfältig eingesetzt – alles scheint mit Backstein möglich: Unterschiede in Farbe, Format, Form, dem Mauerverband, Fugen oder der gewählten Technik können genutzt werden.
Backstein-Ornamente lassen sich über verschiedene Verbandsvariationen, als Loch- und Filtermauerwerk sowie gefaltetes und Reliefmauerwerk, in Friesen- und Lisenen-Optik, über verschiedene Mauerwerksbänder, das Gesims und viele weitere Möglichkeiten verwirklichen. Durch den Farbenreichtum des Backsteins können Verzierungen auf einer zusätzlichen Ebene kontrastreich umgesetzt werden. Die Vielzahl an Optionen erklärt, warum gerade in der modernen Backstein-Architektur ornamentale Verzierungen zu einem zentralen Gestaltungselement geworden sind.
Ausgezeichnete Backstein-Ornamente
Die besten aktuellen Beispiele für stilsicher eingesetzte Backstein-Ornamente finden sich unter den Preisträgern des Fritz-Höger-Preises für Backstein-Architektur. Der alle drei Jahre stattfindende Wettbewerb zeichnet Backstein-Fassaden aus, die das architektonische Potenzial des vielfältigen Baustoffs nutzen. Als international anerkannter Award versammelt er weltweit überzeugende Backstein-Architektur.
Farbbilder, skulpturale Elemente und ausdrucksstarke Architektur
Backstein-Architektur, die mit Farbe spielt, ist beim Fritz-Höger-Preis zahlreich vertreten. Ein besonders künstlerisches Beispiel ist die Gebäudehülle des House of Memory in Mailand vom Architekturbüro Baukuh (Special Mention 2017). Die farbige Fassade wirkt wie eine Tätowierung auf der Haut, denn Backsteine aus sechs verschiedenen Farbtönen bilden menschliche Gesichter und historische Szenen auf dem Gebäude ab. Und auch das Außenrelief des „Landmark“ in Nieuw-Bergen von Monadnock (Special Mention 2017) stellt mit der auffälligen Kombination aus grünem und rotem Backstein ein ausgezeichnetes Beispiel für die unzähligen Möglichkeiten dar, Farbornamente mit dem zeitlosen Baustoff umzusetzen.
Skulpturale Ornamente, dreidimensionale Muster und geometrische Formen lassen sich ebenfalls gut mit dem uniformen Stein verwirklichen. Beispielsweise kann ein Lochmauerwerk für angenehme Frische, ein luftiges Wohnambiente und eine moderne Fassade sorgen: das Termitary House (Gold-Winner 2017) und das Terra Cotta Studio (Special Mention 2017) in Vietnam von Tropical Space machen es vor. Auch das Ziegellochmuster des Stadthauses im argentinischen Rosario von Diego Arraigada Arquitectos (Special Mention 2017) reiht sich in die Kunst des Auslassens ein: Durchlässige Kreuze und Rauten prägen die Fassade des Gebäudes.
Mit der Bremer Landesbank von Caruso St John Architects (Grand Prix 2017) findet sich auch in Deutschland ein herausragendes Beispiel für die Renaissance des Ornaments. Die Schmuckfriese, das geschwungene Fassadenrelief sowie insbesondere das ausdrucksvoll gestaltete Eingangsportal greifen auf die zahlreichen Möglichkeiten zurück, Ornamente in die Gestaltung zeitgenössischer Architektur miteinfließen zu lassen.
Backstein bietet alle Möglichkeiten, Fassaden individuell an das Projekt angepasst zu gestalten, ohne die Ornamente dabei auf kitschige Verzierungen zu reduzieren. Die ausgewählten Bauten und viele weitere zeigen, dass das Ornament als Gestaltungselement lange Zeit unterschätzt wurde und allmählich wieder in den Fokus der zeitgenössischen Architektur rückt.